Thomas Lachenmaier, Badische Zeitung vom 4.7.2008
Eine vorläufige Form von Geborgenheit

Frau mit verhülltem Kind, 2004
Menschen tauchen nur als Vereinzelte auf. In überhohen Räumen haben sie mit derselben Unbehaglichkeit zu tun wie am Meer. Die Frauenfiguren stehen mit säulenartigen Beinen im Wasser, das nichts Transparentes, Leichtes, Frisches hat. Es sieht aus wie festgefügt, wie erstarrter, fester Schlamm. (Gezeigt wird) der Mensch in einer Situation der Überforderung, der Einsamkeit, der fehlenden Kommunikation. Man muß sich einige Zeit mit diesen Bildern gönnen, um zu erkennen, dass es sich bei der Verlorenheit, in der Menschen und ihre Lebensräume hier dargestellt werden, doch nicht um eine Botschaft der Trostlosigkeit handelt. Eher spricht (das Bild) klaustrophobisch abgründig davon, dass der Mensch, einmal in der Welt, hier schlecht einheimisch wird. Er ist unbehaust, angefochten, einsam, ausgeliefert,- und hält doch aus.
Ein junges Mädchen in einem hohen Altbauzimmer, nur mit Unterwäsche und shirt bekleidet. Mit dem Rücken zu einem weit geöffneten Fenster greift es mit seiner linken Hand nach einer Kanne vor sich auf dem Tisch. Das Fenster ist bis zum Anschlag geöffnet, aber draußen ist es noch dunkler als drinnen - beklemmend düster. Das Mädchen steht im harten Licht einer künstlichen Lichtquelle, die nicht im Bild ist. Zwischen dem Leben im Alltäglichen, seiner Flüchtigkeit und dem dunklen Geheimnis draußen steht das Fensterkreuz, es trennt die Bereiche. Das Mädchen steht genau unter diesem Kreuz.

Die silberne Kanne, 1983
Das ist ein Schlüsselmotiv ... Die Menschen sind in Räumen stürzender Linien nicht gänzlich verloren, wie in einem kafkaesken Schloss. Sie finden hier immer noch einen Halt. Es ist der Halt, den ein Mensch in der gefallenen Welt finden kann: eine vorläufige Form von Geborgenheit.
Jürgen Giersch: Katalog zur Ausstellung im Morat-Institut, 2008

DIe Verheißung, 2000
Mit dem Kopf abwärts liegt die Verstorbene im weißen Bettzeug. Unter dem Laken zeichnet sich der Körper ab. Die Wände stehen schräg nach oben auseinander, wie unter einem Blick, der steil von oben kommt. Auch die Verstrebungen des Erkers gehen schräg auseinander, sodaß die Form einer Laterne entsteht. Überleitend in die Weite eines Gebirges ragen Blätter von außen, manche gebeugt, andere sich aufrichtend. Von außen dringt, wie der Ton einer Fanfare, schräg zu allen Fluchtlinien, die handgeschriebene Zeile herein mit dem Text: "Ich werde sie auferwecken",- eine Verheißung Jesu nach dem Johannes-Evangelium.
Von tiefster Zone aus, wo das Haupt der Frau liegt, weitet sich der Raum über Wand und Erker zur Gebirgswand, die Pflanze leitet über von der Frau zu dem ragenden Berg. Formale Verstärkung ist die Suggestion eines Scharniers quer in der Bildmitte, an dem Bett und Frau abwärts geklappt und Erker, Berg und Himmel aufwärts gerichtet erscheinen. In dessen Winkel steht das Kraut, das nach unten und oben vermittelt und sich spreitend das Scharnier öffnet. Der Schriftzug bringt die Erklärung: Tod und Auferstehung sind verknüpft wie Schlafen und Erwachen.

Hohenzollernbrücke, 2007
Am diesseitigen Ufer liegt die Gleisanlage. Die Geleise sind , wie vom Blick nur gestreift, flüchtig dargestellt. Züge, kaum wahrgenommen, erscheinen und verschwinden, verwischt und verschwommen. Schuppen und Überdachungen unterscheiden sich kaum vom Boden. Die Brücke erhebt sich in hellem Licht, das auf den Bögen reflektiert wird. Diese stehen monumental aufgereckt, wie das Strebewerk einer Halle. Der Blick folgt ihnen über das stille Wasser, auf dessen leuchtender Fläche Schiffe liegen.
Das jenseitige Ufer ist im Dunst verborgen, nur zwei Türme heben sich um Weniges vom Himmel ab. Die Reiter halten wie Wachen vor dem Zugang zur Brücke. Es scheint, als ob Güterzüge und Schnellzüge auf der Flucht unter ihnen davoneilen.
Der Fluss als Grenze und die Brück als Übergang sind oft als Gleichnis benutzt worden für Grenze des Lebens und Aufbruch über die Grenze hinweg. "I am going yonder" heißt es in einem gospel-song aus dem 19.Jahrhundert - gemeint ist: jenseits des Flusses und jenseits des Lebens.